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Esther Weidauer

Wie war's in der Schule, Frau Weidauer?

2021-08-17

(CN Gewalt, Schule, sexualler Mißbrauch, Vergewaltigung)

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte heute einen Artikel in dem einige Prominente aus dem deutschsprachigen Raum Fragen zu ihrer Schulzeit beantworten. Für mich war dabei vor allem auffällig wie wenig Dinge wie Gewalt und Diskriminierung erwähnt wurden und wie hoch insgesamt die Akzeptanz und Romantisierung gegenüber dem Schulsystem zu sein scheint.

Hier meine Anworten auf die gleichen Fragen.


Selfie
Esther Weidauer, wiederholte die 11. Klasse und absolvierte das Abitur 2004 in einer sächsischen Kleinstadt.

Erste Reihe oder letzte Bank?

Letzte Bank in der Grundschule. Da wurden die Kinder platziert deren Noten gut genug für die Gymnasiums-Empfehlung waren, damit auch gleich allen klar wurde, dass das hier ein Zwei-Klassen-System ist.

Später dann wo auch immer Platz war. Wir mussten oft zwischen Stunden die Zimmer wechseln, daher keine feste Sitzordnung. Mir war am liebsten ganz vorne, weil so nah an der Aufsichtperson weniger Belästigung stattfand, oder ganz hinten, damit hinter mir niemand sitezn konnte der mir die ganze Stunde lang in den Rücken treten würde.

Influencer oder Follower?

Außenseiterin, Punching-Ball, Gespött

Mein Hobby in der Pause?

Mich vor anderen Kindern verstecken, z.B. unter der Treppe zum Keller oder im obersten Stock des Nebenaufgangs

Meine größte Stunde?

Das wahrscheinlich beste Abizeitungs-Layout das diese Schule bis dahin gesehen hatte.

Das würde ich gern vergessen:

Die Jahre von der 2. bis zur 9. Klasse, in denen die Grausamkeit meiner Mitschüler*innen und der Lehre*innen am schlimmsten war

Von einer ganzen Klasse durch’s Schulhaus gejagt zu werden

Auf dem Schulhof an einen Mast gefesselt zu sein während alle zum Pausenende auf dem Weg zurück ins Schulhaus vorbei liefen

Die nahezu täglichen Schläge

Die drei Mordversuche

Die Vergewaltigung

Das konsequente Wegsehen der Lehrer*innen

All das und mehr davon hat sich in mein Gedächtnis einebrannt während von den wenigen guten Erinnerungen an meine Jugend durch traume-bedingete Gedächtnisverlust kaum welche geblieben sind. Anders herum wäre es besser.

Ein Denkmal gebührt …

Der kleinen Gruppe Metalheads mit denen sonst niemand was zu tun haben wollte, und bei denen ich zumindest in den letzten drei Jahren der Schulzeit Sicherheit und echte Freundschaften fand.

Lernen ist …

… kaum möglich in der Umgebung die ich in meiner Schulzeit vorfand.

Noten sind …

… vor allem eine Reflektion der Umstände unter denen sie entstehen statt der Lernfähigkeiten eines Kindes.

Meine Noten wurde von Jahr zu Jahr schlechter je mehr ich der ständigen Gewalt ausgesetzt war.

Schule müsste …

… begreifen wie sehr manche Kinder in ihrer Schulzeit leiden, was die Schulzeit für bleibende Schäden bei ihnen hinterlässt, wie sehr Lehrer*innen oft mitschuldig sind, und auch endlich im 21. Jahrhundert ankommen.

Entschuldigen muss ich mich bei…

… der Deutsch-Lehrerin die oft wegen ihrer Outfits und Beinbehaarung verspottet wurde, weil ich um mich den anderen anzupassen mitgemacht habe.

Entschuldigen müssen sich bei mir…

… nahezu alle meiner Mitschüler*innen für ihre Teilnahme an oder Duldung von Gewalt sowie die meisten Lehrer*innen dafür, dass sie all das wissentlich haben geschehen lassen.

Inbesondere:

Meine Klassenlehrerin in der 9. die sich weigerte die Beschwerden mehrerer Kinder über Gewalt anzuhören ohne Anwesenheit der Täter, weil das sonst unfair sei.

Die Hort-Erzieherin in der Grundschule die mich ausschimpfte weil ich “zu laut” war nachedem ein Mitschüler eine Steinplatte nach mir geworfen hatte die auf meiner Hand landete. Ich konnte die Hand tagelang nicht bewegen.

Die Lehrerin in der Grundschule die mich und meinen Banknachbarn mit einem Buch verprügelte weil wir geredet hatten.

Der Sportlehrer der sich dem Spott mir gegenüber anschloss und kaum eine Gelegenheit ausließ der Klasse mitzuteilen und vorzuführen, wie unsportlich ich sei.

Die Sportlehrerin, die tatenlos daneben stand als ein anderer Schüler mir so heftig in den Magen schlug, dass ich zu Boden ging, und mich dann ermahnte, ich sei den anderen beim Laufen im Weg.

Der Schüler der seit der von der 1. bis zur 10. immer mit mir in der gleichen Klasse war und jedes Schuljahr aufs neue sichergestellt hat, dass die Grausamkeit kein Ende nimmt. Der fast immer der Anstiftende war. Der gleiche der mich mehrfach sexuell mißbrauchte und vergewaltigte. Der gleiche der mich einmal fast zur Bewusstlosigkeit würgte und nur vom Stundenbeginn abgehalten wurde.

Die zwei Schüler die versuchten mich über ein Geländer kopfüber ins Treppenhaus zu werfen.

Die Mitschüler*innen die die Bremsen an meinem Fahrrad sabotierten. (unbekannt wer das genau war)

Der Direktor der die meiste Zeit zu betrunken war um sich um irgendwas davon zu kümmern.