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Esther Weidauer

That L Word

Nicht die Fernsehserie, aber nah dran. Ein Nachtrag zu einem Coming-Out.

2022-07-03

Nicht die Fernsehserie, aber nah dran. Ein Nachtrag zu einem Coming-Out.

(Übersetzung des englischsprachigen Artikels vom 17.06.2022)

Flamme in Graffiti-Stil und Lesbian-Pride Farben

Disclaimer: In diesem Artikel geht es um meine persönlichen Erfahrungen welche keineswegs universell sind. Ich kann nur für mich selbst sprechen und andere Menschen werden diese Dinge anders erleben. Das ist auch vollkommen ok so.

2014 outete ich mich als bisexuell, Oder vielmehr: Ich hörte auf daraus ein Geheimnis zu machen. Es gab keinen spezifischen Moment an dem ich das der Welt bekannt machte und ich sprach nicht wirklich mit irgendwem darüber. Außer dass ich meine Präferenzen auf OkCupid anpasste, passierte damals nichts weiter. Was einen viel größeren Einfluss auf mein Leben hatte, kam einige Jahre später: Mein Coming-Out als trans.

Danach dachte ich nicht mehr viel über meine sexuelle Identität nach. Teils weil die Transition, Dysphorie und die alltägliche Trans-Feindlichkeit mein Leben für einige Jahre sehr dominierten, teils aber auch weil es keinen Grund gab irgendetwas zu ändern. Auf gewisse Weise wurde die Frage “Und, auf wen stehst du denn nun?” überflüssig nachdem ich mich bei jemandem als trans outete.

Das hat sich jedoch nie wirklich richtig angefühlt. Aber bevor ich dazu ins Detail gehe sollte ich wahrscheinlich ein paar Begriffe klären:

I verwende “Bisexualität” im Sinne von “Anziehung zu mehr als einem Geschlecht”, im Gegensatz zu Homo- und Heterosexualität. Einige Leute behaupten dass “bi” bedeutet, zu genau zwei binären Geschlechtern hingezogen zu sein, diese Ansicht wird aber von der Bi-Community überwiegend abgelehnt, also werde ich ihr keine weitere Beachtung schenken.

Abseits von Theorie und Labeln funktioniert meine Anziehung in der Praxis, so dass jedes beliebige Geschlecht in Kombination mit jeder möglichen menschlichen Anatomie eine Person bilden kann die ich romantisch und/oder sexuell attraktiv finde. Für manche wird genau das mit dem Begriff “pansexuell” beschrieben und das ist sicherlich nicht falsch. Für mich hat sich dieser Begriff aber immer ein bisschen … synthetisch abgefühlt. Ich weiß, alle Wörter sind ausgedacht, klar. Aber wenn ich diesen Begriff für mich selbst akzeptiert hätte, dann wäre es nur als Antwort darauf gewesen dass manche Menschen versuchen Bisexualität restriktiver zu definieren.

Als ich darüber nachdachte, dass “pansexuell” als Selbstbezeichnung für mich lediglich ein Weg gewesen wäre, diesen restriktiven und exklusiven Behauptungen auszuweichen, fing ich auch an mir die Frage zu stellen warum ich zunächst die Bezeichnung “bi” gewählt hatte und warum genau es sich nie richtig anfühlte. Wenn ich ehrlich mit mir bin war da ein ähnlichen Problem. “Bi” war eine vergleichsweise sichere Option um schwierigen Fragen und Konfrontationen als auch möglicher unangenehmer Selbst-Reflexion aus dem Weg zu gehen. Wenn ich “bi” verwendete, konnte das niemand wirklich in Frage stellen, sowohl vor als als nach meiner Transition. Es war der Weg vorbei an der ganzen chaotischen queeren Komplexität.

Disclaimer 2: Ich möchte damit nicht sagen dass bisexuelle Menschen es “einfach haben”. Ausschluss und Unsichtbar-Machen von Bisexualität sind schwerwiegende Probleme, viele bi Personen werden missverstanden, nicht erst genommen oder werden Opfer von Gewalt um sie zu “korrigieren”. All das ist furchtbar.

Also, wenn ich “bi” nur vorgeschoben hatte um mich selbst zu schützen, wovor dann eigentlich? Wenn ich diesen sehr weit gefassten und losen Begriff gewählt hatte weil ich Angst davor hatte etwas spezifischeres für mich zu akzeptieren, was konnte das sein? Und warum hatte ich Angst?


2021 nahm ich zum ersten Mal am Dyke March teil. Ich war dort mit einer kleinen Gruppe von Frauen und non-binary Personen und irgendwie hat einiges in meinem Kopf “klick” gemacht an diesem Tag. Seitdem habe ich viel darüber nachgedacht, dieses Gefühl zu diesen Menschen zu gehören und nicht von außen zu beobachten, so wie es sich auf dem CSD für mich oft angefühlt hatte, aber auch die Vielfalt an Menschen die ich dort sah, weit entfernt von irgendwelchen engen und exklusiven Kategorien. Seitdem habe ich auch wieder begonnen neue Leute zu daten, nach einer sehr langen Pause, und wenn ich darüber nachdenke wie ich jetzt mein Dating-Leben beschreiben würde, ist das erste Wort das mir einfällt nicht “bisexuell”.

Eine Freundin mit der ich nicht einmal wirklich über mein Dating-Leben rede bezeichnete mich vor kurzem ganz beiläufig mit einem anderen Wort, als sei es das selbstverständlichste auf der Welt: lesbisch.

Und da kommt die Angst. Darf ich das überhaupt, mich selbst so nennen? Es fühlt sich richtig an, aber ich weiß mit Sicherheit dass manche Menschen dem entschieden widersprechen würden. Natürlich kann mir niemand vorschreiben was ich fühlen kann, das wäre lächerlich. Aber was wenn ich der Welt davon erzählen möchte? Was wenn die Welt eine andere Ansicht hat, was dieses Wort bedeutet? Was wenn ich mich rechtfertigen oder irgendwie Zugehörigkeit “beweisen” soll? Wie sollte das überhaupt gehen?

Ich sehe da zwei Ansätze: Die Idee dass Lesbisch-Sein exklusiv ist (sowohl in Bezug auf wer lesbisch sein kann als auch wen sie attraktiv finden können) ist recht jung und nicht breit akzeptiert. Zeit mit tatsächlichen Lesben zu verbringen, statt nur im manchmal recht verzerrten Online-Diskurs, offenbart schnell eine riesige Vielfalt an Menschen und denen die sie lieben, inklusive cis und trans Frauen, nicht-binären und trans-maskulinen Menschen, und vielen anderen. Es ist eine chaotische Szene, mit einer komplizierten Geschichte, und sie entwickelt sich stetig weiter und verändert sich. Je mehr ich mich umsah umso mehr wurde klar wieviel Platz in diesem Wort ist, in jeden Fall genug Platz für mich mit all der Komplexität derer die ich attraktiv finde.

Die andere Sicht ist die mit der mich andere von außen wahrnehmen wenn ich mit jemandem auf einem Date bin und es ist schwer vorstellbar, dass sie etwas anderes sehen als eine lesbische Beziehung, unabhängig davon ob die Personen in dieser Beziehung sich selbst auch so definieren. Wie die Welt mich sieht und die Menschen die mir nahe stehen beeinflusst auch die politischen Kämpfe in denen ich mich wiederfinde da diese in der Regel von außen auferlegt sind. Das wiederum bestimmt in welchen Communities ich mich durch diese gemeinsamen Kämpfe zuhause fühlen kann.

Wenn die Welt also entscheidet, mich als lesbisch zu sehen und ich darin Frieden mit meinen Gefühlen finde und sich diese Community nach einem Zuhause anfühlt, dann sei’s so.

Es ist immer noch furchterregend es zu sagen und ich habe keine Ahnung was passiert wenn ich das tue, aber immerhin kann ich es sagen und es fühlt sich richtig an:

Ich bin lesbisch.

Happy Pride, ihr alle 💜